Eine Analyse: Wie Papst Franziskus seine Kardinäle auswählt

Wenn ein Papst neue Kardinäle ernennt, dann stürzen sich die Gläubigen schon fast auf die Namen, denn unter ihnen könnte nicht nur der nächste Nachfolger Petri sein, sondern man kann auch erkennen, auf welche Probleme der aktuelle Papst eventuell einen Fokus legt. 
Wie Papst Franziskus an seine Kardinalsernennung herangeht, habe ich hier versucht zu analysieren und vielleicht wird so auch geklärt, warum Dr. Heiner Koch, der amtierende Erzbischof von Berlin, noch kein Kardinalspurpur trägt.

Das Erste, was vermutlich jedem aufmerksamen Beobachter auffällt, wenn man bei der Bekanntgabe eines Konsistoriums zur Kardinalskreierung von Papst Franziskus die neuen, designierten Kardinäle betrachtet ist, dass mehrere (Erz-)Diözesen, welche gewöhnlich von einem Kardinal bekleidet sind, bei seinen Konsistorien nicht beachtet werden.

Kardinal Jean-Claude Hollerich aus Luxemburg erhält sein Kardinalsbirett beim Konsistorium im Oktober 2019
Kardinal Jean-Claude Hollerich aus Luxemburg
(CNS Photos/Paul Haring)
Der aus Argentinien stammende Papst setzt scheinbar eher auf Diözesen, die seit Jahrhunderten oder sogar noch nie einen Bischof mit der Kardinalswürde hatten. 
In Italien wird dies sehr deutlich, da dort die Erzbischöfe von Perugia, Ancona-Osimo und L'Aquila anstelle des Patriarchen von Venedig und den Erzbischöfen von Mailand, Turin und Palermo in das Kardinalskollegium aufgenommen wurden. In den Vereinigten Staaten erhob er den Erzbischof von Indianapolis vor den Erzbischöfen von Detroit, St. Louis, Philadelphia und Baltimore. Dies ist normalerweise eine eher untypische Vorgehensweise. 
Vatikanexperten glauben, dass dies der Ansatz von Papst Franziskus ist, um den Karrierismus in der Kirche loszuwerden. So sagt er bei seinem ersten Konsistorium zu den neuen Kardinälen “Die Kardinalswürde bedeutet keine Beförderung, es ist weder eine Ehrung noch eine Auszeichnung. Es ist einfach ein Dienst, bei dem Sie ihren Blick erweitern und Ihre Herzen öffnen müssen.”


Die ungeschriebene Regel ist normalerweise, dass ein Erzbischof vor einem Bischof einer seiner Suffraganbistümer in das Kardinalskollegium aufgenommen wird, aber Papst Franziskus folgt dieser Regel nicht immer. 


Dies gibt den Eindruck als gehe es dem Oberhaupt von rund 1.3 Milliarden Katholiken in erster Linie um die Personen, welche er in das Kardinalskollegium aufnimmt und nicht um das Amt welche diese innehaben oder welches Bistum sie leiten.


Von Anfang an hat Papst Franziskus deutlich gemacht, dass er eine universelle Kirche will, die sich nicht nur auf den Westen konzentriert, sondern auch den kleineren katholischen Gemeinschaften eine Stimme geben will und dies versucht er vor allem auch über die Kardinalskreierungen zu erreichen. Natürlich hatte noch nicht jedes Land der Welt einen Kardinal, jedoch hat Papst Franziskus bereits 14 Ländern (Haiti, Cabo Verde, Myanmar, Panama, Tonga, Zentralafrika, Bangladesch, Lesotho, Schweden, El Salvador, Laos, Mali, Marokko und Luxemburg) ihren ersten Kardinal gegeben. 
Franziskus sagte einmal in einem Treffen mit Jesuiten in Bangladesch: “Beim Ernennen der Kardinäle versuchte ich, kleine Kirchen, die in den Randgebieten wachsen, zu betrachten. Nicht um diesen Kirchen Trost zu spenden, sondern um eine klare Botschaft zu übermitteln: Die kleinen Kirchen, die in der Peripherie wachsen und heutzutage keine alten katholischen Traditionen haben, müssen mit der Universalkirche, mit der ganzen Kirche sprechen. Ich habe das Gefühl, dass sie uns etwas beibringen können.”

Der Grund, warum einige Bischöfe von einem traditionellen “Kardinalsbistum” noch nicht die Kardinalswürde erhalten haben, könnte auch damit zusammenhängen, dass das Bistum noch einen wahlberechtigten Kardinal hat. Es scheint so als wolle Papst Franziskus nur einen Kardinal haben, welcher ein Bistum in einem zukünftigen Konklave vertritt. Zwei Beispiele aus Spanien und eines aus der Demokratischen Republik Kongo können ein kleiner Beweis für meine These sein.
Juan José Omella wurde im Jahr 2015 zum Erzbischof von Barcelona ernannt, jedoch erst im Juni 2017 in das Kardinalskollegium aufgenommen. Sein Vorgänger, Kardinal Lluís Martínez Sistach, ist im April 2017 80 Jahre alt geworden und somit sein Recht in einem Konklave teilnehmen zu können verloren.
In Madrid gab es bereits im Jahr 2014 einen Wechsel in der Führung des Erzbistum als Carlos Osoro Sierra für Kardinal Antonio Rouco Varela dort die Leitung übernahm. Letzterer wurde im August 2016 80 Jahre alt, woraufhin Sierra im November desselben Jahres in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde.
Nur zwei Tage vor dem 80. Geburtstag von dem emeritierten Erzbischof von Kinshasa, Kardinal Laurent Monsengwo Pasinya, erhielt sein Nachfolger Fridolin Ambongo Besungu O.F.M. Cap., das Kardinalsbirett. 

Dies erklärt dann vermutlich auch, warum der Erzbischof von Mailand, Mario Delpini, noch nicht zum Kardinal erhoben wurde, obwohl er von Papst Franziskus zu seinem aktuellen Posten ernannt wurde. Der emeritierte Erzbischof von Mailand, Kardinal Angelo Scola, wird erst im November 2021 sein 80. Lebensjahr vollenden.

Kardinal Matteo Zuppi
(CNS Photos/Paul Haring)
Häufig benutzt Papst Franziskus die Kardinalswürde natürlich auch als Anerkennung für besondere Ereignisse, wie es schon so viele Päpste vor ihm getan hat. Er erhob den Erzbischof von L’Aquila, Giuseppe Petrocchi, nachdem das Bistum von einem katastrophalen Erdbeben im Jahr 2009 getroffen wurde. Er erhob mit Mario Zenari den Apostolischen Nuntius in Syrien als Anerkennung für seinen Dienst dort, nachdem er sich unter anderem verweigerte das Land zu verlassen als sich der Bürgerkrieg verschlimmerte. Mit der Erhebung des Weihbischofs von San Salvador, Gregorio Rosa Chávez, erkannte er indirekt den Dienst von dem Heiligen Oscar Romero an, von welchem Chávez ein enger Vertrauter war. 

Einige Probleme und Missstände in der Welt erhalten im Pontifikat Franziskus` besonders große Aufmerksamkeit und dies spiegelt sich auch in seinen Kardinalserhebungen wieder. Bei keinem Konsistorium wird dies vermutlich deutlicher als bei dem Letztjährigen. Im letzten Oktober wurden besonders Bischöfe (und ein Priester, welcher jedoch am Tag zuvor zum Bischof geweiht wurde) mit dem Kardinalsbirett ausgestattete, welche sich in der Arbeit mit Migranten und im Interreligiösen Dialog ausgezeichnet haben. Allgemein nimmt er, um wieder auf den ersten Punkt zurückzukommen, Bischöfe von großen Diözesen scheinbar nur auf, wenn sie nahe an seinen Visionen der Katholischen Kirche stehen. Aber selbst dann nimmt Franziskus diese wiederum nicht unbedingt direkt in seinem nächsten Konsistorium in das Kardinalskollegium auf, sondern wartet unter Umständen noch, auch wenn es keine Papstwähler mehr in diesem Bistum gibt. 
Ein Beispiel hierfür ist der Erzbischof von Bologna, Kardinal Matteo Zuppi, welcher im letzten Jahr von Franziskus in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde. Zuppi wurde im Jahr 2015 von Papst Franziskus zum neuen Erzbischof von Bologna ernannt, wo er Kardinal Carlo Caffarra ersetzte. Dieser verstarb im Jahr 2017 im Alter von 79 Jahren, jedoch wurde Matteo Zuppi nicht direkt im Jahr 2018 in das Kardinalskollegium aufgenommen. 
Eine weitere Gewohnheit, welche Papst Franziskus bei seinen Kardinalsernennungen entwickelt hat ist folgende: Es gibt eine Kardinalsernennung für ein Land, welches Papst Franziskus in dem letzten Jahr besucht hat oder er in den kommenden Monaten besuchen wird. Im letzten Jahr wurde mit dem Erzbischof von Rabat, Cristóbal López Romero S.D.B., ein Bischof aus dem Land Marokko in das Kardinalskollegium erhoben, welches im März 2019 von Papst Franziskus besucht wurde. Im Jahr 2018 wurde mit Pedro Barreto S.J., dem Erzbischof von Huancayo, ein Bischof aus dem Land Peru aufgenommen, welches er im Januar 2018 besuchte. Und so kann man das, bei so gut wie jedem, der bisher sechs Konsistorien von Papst Franziskus sehen.

Trotz all dem bleibt Franziskus seinen Vorgängern bei einem gleich: Alle Kurienämter, welche normalerweise von einem Kardinal bekleidet werden, sind auch unter Franziskus von einem Kardinal bekleidet. Aber auch hier gibt es eine Ausnahme: Franziskus ernennt diese häufig nur, wenn er sie auch an diesen Posten bestellt hat. 
Ein Beispiel hierfür ist der Archivar des Vatikanischen Apostolischen Archivs und Bibliothekar der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek in der Römischen Kurie, welcher im Normalfall ein Kardinal ist. José Tolentino de Mendonça, der aktuelle Inhaber dieses Amtes, wurde im letzten Jahr in das Kardinalskollegium aufgenommen, jedoch wurde sein Vorgänger Jean-Louis Brugues OP nicht in das Kardinalskollegium aufgenommen. Der Grund liegt wohl darin, dass Brugues noch im Jahr 2012 von Papst Benedikt XVI. ernannt wurde, welcher dann im Jahr 2018 von Mendonça ersetzt wurde.

Dr. Heiner Koch (Walter Wetzler)
Was hat dies nun für Dr. Heiner Koch zu bedeuten, welcher als Erzbischof von Berlin, in einem traditionellen Kardinalsbistum tätig ist? Ich denke persönlich, dass Dr. Koch noch das Kardinalspurpur erhalten wird, jedoch könnte es noch immer eine Weile andauern. Er wurde von Papst Franziskus in die Bundeshauptstadt berufen und ich bin noch immer der Meinung, dass, obwohl Franziskus scheinbar nicht mehr jeden Bischof eines traditionellen “Kardinalsbistum” zum Kardinal erhebt, er trotzdem noch Bischöfe zu diesen Bistümern ernennt, wenn er auch damit rechnet, diese einmal zum Kardinal zu erheben. Man könnte es als seine Shortlist für Kardinalserhebungen bezeichnen.
Die Frage die sich mir stellt ist, ob man im Vatikan Kardinal Rainer Maria Woelki noch als Papstwähler für die Gläubigen von Berlin ansieht, da dieser, im Jahr 2012, als Erzbischof von Berlin in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde. 

Natürlich sind dies nur Anhaltspunkte und es gibt häufig Ausnahmen, welche diesen Punkten widersprechen. Trotzdem finde ich es sehr hilfreich zu sehen, auf was Franziskus setzt, wenn er seine Kardinäle ernennt.

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